27. Dezember 2014

Bullshit des Jahres

PEGIDA-Anhänger sind sich sicher: "Wir sind das Volk! 'Die da oben' sollen sich mal um uns kümmern und nicht immrt nur um Minderheiten!"

Mit Hochgenuss, wird immer wieder darauf verwiesen, dass schließlich auch am Reichstag stehe "Dem deutschen Volke", dass Politiker "einen Eid geschworen" hätten, das deutsche Volk zu vertreten, kurz: dass "wir" schließlich der Souverän dieses Staates seien und allein darum auf die Anhänger gehört wären müsse(!). Die Botschaft ist klar: Wir sind eine Mehrheit!

Fakt ist


Werfen wir zunächst einen Blick auf die Zahlen. Zur Stunde hat Pegida auf Facebook ca. 90.000 Anhänger und bei der letzten Demonstration wurden immerhin, Polizeiangaben zu Folge, gute 17.000 davon mobilisiert.
Diese Zahlen klingen zunächst sehr beeindruckend. Darum wollen wir Sie kurz für euch Einordnen.

Ein genauerer Blick auf das Mobilisierungspotenzial:
Wenn man die Zahlen sehr großzügig schätzt, ist es durchaus möglich, dass Pegida am 5.01.2015, wenn die nächste Demo in Dresden stattfindet, 20.000 Menschen auf die Straße bringt. Ob das tatsächlich passiert, bleibt abzuwarten, aber nehmen wir einmal an, es wäre so. Was bedeuten diese Zahlen?

Dazu ist es erst einmal wichtig, diese in ein adäquates Verhältnis zu setzen. Denn klingen diese "Menschenmassen" erst einmal nach einer riesigen Anhängerschaft, so müssen sie auch im Vergleich zu anderen Großereignissen/Demonstrationen gesehen werden.
Betrachtet man allein die jüngere Vergangenheit in Deutschland, so wird schnell klar, dass die Zahl der Teilnehmer allein, nicht automatisch politische Relevanz verleihen kann.
So beteiligten sich bspw. an den Protesten gegen den Bau des umstrittenen Bahnhofs "Stuttgart 21" allein am 19. März 2011 ca. 60.000 Menschen, anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm fanden 80.000 Demonstranten den Weg zum Gegenprotest, die Proteste gegen die Castortransporte im Wendland ziehen jedes Jahr bis zu 50.000 Menschen an und 2003 demonstrierten gegen den Irakkrieg allein in Berlin fast 500.000 Menschen.
Wir können uns nicht erinnern, dass auch nur eine dieser Veranstaltungen ein ähnliches Echo, wie Pegida hervorgerufen hätte, oder dass sich die Politik genötigt gesehen hätte "die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen" oder gar "auf die Demonstranten zuzugehen".

Nun kann man aber auch die reichlich 90.000 Facebookanhänger zur Grundlage einer Einordnung heranziehen. Gehen wir einmal großzügig davon aus, dass diese Anhängerschaft bis zum 5.01.2015 noch auf reichlich 100.000 "Likes" anwächst. Bedeutet nicht mindestens das, dass die Positionen der Pegida eine gewisse Relevanz gewinnen? Mitnichten!
Denn was Pegida erreicht hat, wird schnell klar, wenn man sich eine Auswahl von Seiten in Deutschland ansieht, die deutlich mehr "Likes" verzeichen können: NPD (ca. 117.000), "Wir wollen Guttenberg zurück" (ca. 320.000), "Kann diese Brezel mehr Fans haben als Tokiohotel?" (570.000) oder "Evangelist Reinhard Bonnke - Official Page" (Ein Prediger der fundamental-christlichen Pfingstbewegung - 3,6 Mio.). Die erfolgreichste deutsche Fanseite ist übrigens mit 55 Mio. "Likes" "Mcdonalds Deutschland". Pegida ist aktuell fast 200.000 Likes davon entfernt, auch nur zu den Top-100 zu gehören.
Rechnet man spaßeshalber mal alle Likes in potenzielle Stimmen einer imaginären Pegida-Partei um, so wäre diese bei der letzten Bundestagswahl auf ca. 0,2 % der Zweitstimmen gekommen, also in der Region von "pro Deutschland", "Republikanern" und "die PARTEI" und damit hinter ÖDP, "Tierschutzpartei" und "freien Wählern" gelandet.

Fazit


Was sagen uns nun all diese Zahlen? Vor allem, dass Pegida mitnichten eine "Mehrheit" vertritt. Sie zeigen aber auch eines: Ein Lieblingsmantra der Pegida und ihrer Anhänger ist es geworden, zu behaupten, die Presse, die Politik und die öffentliche Debatte nähmen sie nicht ausreichend ernst und zur Kenntnis. Grade der Vergleich mit anderen Protestbewegungen zeigt aber, dass das absolute Gegenteil der Fall ist. Jede Talkrunde, jedes Nachrichten-, jedes Politmagazin der Republik und nahezu jede private Unterhaltung in Sachsen, drehen sich in den letzten Wochen in irgendeiner Form um Pegida. Wir fragen uns: Mit welchem Recht?

Vor diesem Hintergrund fragen wir uns auch, ob die Forderungen der Pegida nicht bereits viel zu viel Gehör finden. Nicht zuletzt muss so auch erkannt werden, dass ein großer Teil des Wachstums der Internet-Anhängerschaft auch auf die exzessive Berichterstattung zurückzuführen ist. Betrachtet man dies, so muss sich auch die Presse langsam den Vorwurf gefallen lassen, die aktuelle Stimmung, in Bezug auf dieses Thema, mit erzeugt zu haben.
Die Reaktion der Politik, insbesondere im konservativen Lager und in Sachsen erscheint, betrachtet man dieses Verhältnis ebenfalls in einem anderen Licht. Politikvertreter, die seit Wochen gebetsmühlenartig beteuern, "die berechtigten Sorgen der Menschen ernst nehmen" und "auf die Pegida-Anhänger zugehen" zu wollen, müssen sich fragen lassen: Warum?
Wie kommt es, dass eine solche Minderheit, deren inhaltlicher Kern in Stimmungsmache gegen andere Minderheiten besteht, plötzlich "ernst genommen" werden muss? Was genau möchte uns, insbesondere die Landespolitik damit sagen, dass sie die Anliegen dieser kleinen Gruppe offenbar ernstzunehmender findet, als die Anliegen jener, die sich eine offene, plurale und multikulturelle Gesellschaft wünschen?
Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Denn Pegida ist vor allem eines: Laut...

Merke


Das Pegida-Konstrukt hat es geschafft, sich mit Lautstärke, verbaler Aggressivität, gezielter Mobilisierung und Penetranz in einen gesellschaftlichen Diskurs zu drängen und sich in diesem eine Rolle erschlichen, die ihr überhaupt nicht zusteht.
Wir fragen uns, mit welchem Recht es in einer demokratischen Gesellschaft einer lauten Minderheit eingeräumt wird, eine Debatte zu bestimmen, sich in dieser eine Führungsrolle anzumaßen und sie in die Mitte des öffentlichen Diskurses zu stellen, ohne dafür legitimiert zu sein.
Es gibt dafür einen Ausdruck: Lobbyismus.

Längst ist die Pegida zu dem geworden, was sie vorgibt zu bekämpfen, eine Special-Intrest-Group, eine reaktionäre Interessenvertretung eines kleinen Teiles der Gesellschaft, die in den letzten Wochen mit einigem Erfolg, dem Rest der Bevölkerung ihren Willen aufzuzwingen versucht.


Das Volk? Ein Scheiß!